Etappe 29: Mit vier und zwei Rädern zum Dach der Welt - XWORLD-Tour erreicht Tibet

Vom chinesischen Chengdu bis ins tibetische Lhasa führte das 29. Offroad-Abenteuer der XWORLD-Tour seine acht Teilnehmer – die erste ausländische Reisegruppe, die nach fast zwei Jahren auf dem Landweg nach Tibet einreisen durfte. Unter ihnen die Profi-Radsportlerin Hanka Kupfernagel, die die beeindruckende Strecke immer wieder als Trainingsmöglichkeit nutzte und der Land Cruiser-Kolonne oft kilometerweit voraus war. Ein Reiseteilnehmer berichtet.

Sonntag 5. April 2009: Anreise Deutschland – Chengdu

Die Tageszeitung „China Daily“ betitelte Chengdu einst als eine der lebenswertesten Städte Chinas. Das Klima ist mit milden, südtropischen Temperaturen schon einmal sehr angenehm. Nach dem langen Flug sind wir sehr froh endlich angekommen zu sein und freuen uns auf unser Abenteuer.

Nach nur wenigen Minuten Taxifahrt kommen wir im Kempinski Hotel an – unser „Basislager“ der nächsten zwei Tage. Es gibt sogar eine „Paulanerstube“, in der wir uns bei einem leckeren Weißbier besser kennenlernen. Unsere Tour-Guides heißen Beni (Benjamin Krenzer) & Weilo (Peter Weil). Anfangs wird uns auch die chinesische Reiseleiterin „Lee“ begleiten. Unsere Reisegruppe besteht aus acht Teilnehmern: Hanka, Guido, Jürgen, Michael, Peter, Tino, Uwe und Vatan.

Nach einem ausgiebigen Tour-Briefing geht es zum Abendessen. Heute gibt es „Feuertopf“ und der Name ist Programm. Die regionale Spezialität wird mit feurigem „Sichuan-Pfeffer“ gewürzt.

Montag 6. April 2009: Chengdu

Nach einem leckeren und ausgiebigen Frühstück im Hotel fahren wir gemeinsam mit dem Minibus zu einer Aufzuchtstation für Panda Bären. Wir genießen die Ruhe und beobachten die süßen schwarz-weißen Babys, die sich um die begehrten Plätze auf den Baumstämmen kabbeln. Die größeren Bären haben eher etwas von „Faultieren“, gemächlich fressen sie Bambus und lassen sich die Sonne auf den Pelz scheinen. Lustig anzusehen sind sie aber alle. Nach diesem tierischen Erlebnis besuchen wir ein Teehaus, besichtigen die Innenstadt von Chengdu und shoppen auf der Promenade. Ein ereignisreicher Tag – obwohl wir noch keinen Meter mit den Offroad-Fahrzeugen gefahren sind. Dafür brauchen wir aber auch den chinesischen Führerschein und der steht morgen auf dem Programm.

Dienstag 7. April 2009: Chengdu – Leshan – Emei Shan

Der heutige Tag ist das erste Highlight unseres China-Aufenthalts: Schließlich können wir heute Abend sagen, dass wir im Besitz des chinesischen Führerscheins sind. Dafür starten wir am frühen Morgen mit Tourguide „Peter“, welcher uns auch auf unserer Reise durch Tibet begleiten wird und machen uns auf zum Chengdu Hospital, um uns dort dem „Health Check“ zu unterziehen. Wir haben schon in den Tourberichten über die Etappen der XWORLD in China viel über das Prozedere gelesen – trotzdem wächst bei uns die (An)Spannung, weil der Test in jeder chinesischen Provinz anders ausfällt…
Wir fühlen uns wie Ameisen, als wir uns an den vielen, hektischen Chinesen vorbei schlängeln. Die Menschenmassen geben uns eher das Gefühl in einem deutschen Kaufhaus statt in einem chinesischen Krankenhaus zu sein. „Hello my name is sister Becky please follow me“, empfängt uns eine nette Chinesin. Die Papiere schon vorbereitet, geht es zum Hörtest. Die entscheidende Frage der behandelnden Ärztin lautet: „Your ears OK?“, worauf wir alle kollektiv nicken und so die begehrte Unterschrift erhalten. Nach einem Händecheck beim Orthopäden und einen gemeinschaftlichen Augentest ist es dann überstanden.
Im Eiltempo geht es nun zur Polizei, um dort die Führerscheine abzuholen. Ein Computervirus weiß das aber hinaus zu zögern. Zur Ablenkung rufen wir die internationale „XWORLD-Plopp“ Meisterschaft ins Leben. Die Spielregeln: Der Schraubdeckel einer Wasserflasche muss aus der Faust heraus mit einer Klatschbewegung möglichst weit geschossen werden. Klare Siegerin ist Hanka Kupfernagel – die einzige Frau unserer Truppe.
Nach Meisterschaft und Führerschein sitzen wir am späten Nachmittag das erste Mal in den Offroad-Fahrzeugen. Es geht nach Leshan zum größten Buddha in China.
Mittwoch 8. April 2009: Emei Shan – Xinchang

Nach dem Frühstück in unserem Hotel am heiligen und herrlich bewachsenen Berg „Emei Shan“ startet unser Konvoi in Fahrtrichtung Süden. Schon nach wenigen Kilometern stoppt uns ein Polizeikonvoi – und nach etwa 1,5 Stunden wird uns dann mitgeteilt, dass wir nicht auf unserer ursprünglichen Route weiterfahren dürfen. Diese Region werde von einer chinesischen Minderheit bewohnt und die Polizei befürchtet, dass wir diese Passage nicht unbeschadet überstehen werden.

Das bedeutet für uns, dass wir eine längere Route bis zu unserem Tagesziel Xichang wählen müssen. Um die Mittagszeit machen wir in einer kleinen Ortschaft Halt, um eine Kleinigkeit zu essen. Plötzlich strömen aus allen Ecken Kinder, Männer und ein paar Frauen und warten vor dem Restaurant. Vor allem Hanka und Jürgen kommen bei den Chinesen gut an. Hanka, weil sie die einzige Frau der Gruppe ist und zudem eine sportliche Figur hat und Jürgen auf Grund seiner hochgewachsenen Körpergröße. Die benachbarte Schule setzt für eine Stunde den Unterricht aus (und das in China!) und es werden viele Bilder gemacht, bevor wir in unserem Restaurant das einfache Mittagessen genießen können.

Die Kilometer werden und werden nicht weniger. Mit einem Schnitt von 25 Kilometer die Stunde (wegen der kleinen Straßen) rollen wir mit nur ein paar Tropfen Diesel in den Tank nach Xichang.

Es ist schon lange dunkel und auf dem Land gibt es in chinesischen Restaurants ab 20 Uhr kein Essen mehr. Wir entschließen uns, dem Fastfood Restaurant Dikos (chinesische Version von Kentucky Fried Chicken) einen Besuch abzustatten. Kurz bevor wir ankommen, erreicht uns der Funkspruch eines Teilnehmers: „Mich habe eben zwei Mädels in einem Minibus angemacht“. Auch in China gibt es das älteste Gewerbe der Welt und so denken wir uns unseren Teil und steuern unsere Wagen unbeirrt zum Fastfood-Restaurant.

Gerade erst die Bestellung aufgegeben, hören wir ein Getümmel auf der Straße. Die beiden Mädels sind aufgetaucht und arbeiten in einer ganz anderen Branche als vermutet: Es ist die Redakteurin des lokalen Fernsehsenders und ihre Assistentin. Gar nicht leicht in China in Ruhe zu essen, stellen wir fest. Nach nur zwei Minuten umzingelt uns ein komplettes Fernsehteam und wir geben vollmundig Interviews. Dafür eskortieren uns die Journalisten in unser Hotel und wir lassen einen aufregenden vierten Tag Revue passieren.

Donnerstag 9. April 2009: Xinchang – Lijiang

Am fünften Tag geht es endlich auf die Autobahn. Kein Verkehr, keine Baustellen und eine tolle Landschaft, wohin das Auge schweift. Da macht das Fahren richtig Spaß. Wir stoppen in einem schönen Tal - da tönt es schon über Funk: „Macht Ihr hier in Ruhe Mittagspause und holt mich dann wieder ein. Ich muss jetzt ein paar Trainingskilometer mit dem Fahrrad fahren“!

Unsere Hanka Kupfernagel (www.hanka-kupfernagel.de), die wahrscheinlich beste deutsche Radsportlerin, nutzt die Reise von Chengdu nach Lhasa auch für ihr Höhentraining. Nach einer schönen Mittagspause von etwa 40 Minuten jagen wir nun mit unseren „Autos“ Hanka hinterher. Nach einer kleinen Rechenaufgabe, bezüglich der Geschwindigkeit mit welcher wir unterwegs sind, glauben wir Hanka schon in Kürze wieder aufgeholt zu haben. Pustekuchen! Erst eine Stunde später erreichen wir die Profisportlerin. Respekt!!!

Pünktlich mit der untergehenden Sonne erreichen wir Lijiang (einer der vier wichtigsten Städte alter chinesischer Bauweise). Uns erwartet ein Check-In inmitten der wunderschönen Altstadt. Unser „Alien Permit“ für die Einreise nach Tibet halten wir leider immer noch nicht in unseren Händen und somit wird Lijang für zwei Nächte unser Zuhause. Grund: Tibet stand bis wenige Tage vor unserer Ankunft noch unter Kriegsrecht. Doch nachdem unsere Gruppe das „Alien Permit“ am darauf folgenden Tag per Fax erhält, können wir als erste ausländische Reisegruppe nach fast zwei Jahren auf dem Landweg von Chengdu nach Lhasa einreisen.

Freitag 10. April 2009: Lijiang


Für den heutigen Tag steht Sightseeing in der Altstadt von Lijiang auf dem Programm. Die Altstadt bietet Abenteuer & Kultur auf einer Fläche von „Phantasialand“ und „Holiday Park“ zusammen. Unter anderem besuchen wir die Mu-Residenz, die das Heim des Stammeshäuptlings von Lijiang war. Anschließend steht uns der Tag zur freien Verfügung. Wir genießen die Zeit und die tolle Atmosphäre dieser Stadt.

Samstag 11.. April 2009: Lijiang – Makham

Wir brechen sehr früh auf, da uns heute einer der längsten Tage bevorsteht. Zunächst geht es sehr zügig voran und wir erreichen sehr schnell die Region Shangri-La; sind jetzt nicht mehr weit von der autonomen Tibet entfernt (schon erkennbar an den tibetischen Gebetsfahnen, die an einigen Stellen im Wind flattern). Nach zwei 4000 Meter hohen Pässen verlangsamt sich die Fahrt plötzlich vor dem kleinen Provinzort Shengping: Eine Baustelle versperrt uns die Weiterfahrt. Was das in China bedeutet, muss man am eigenen Leib erfahren. Es ist eine Mischung aus Abenteuer und reinstem Chaos. Absolut alle geltenden Regeln und Gesetze werden unter die „Fahrbahn“ gekehrt. Und das in China, wo eigentlich alle nach einer Pfeife tanzen…

Wir Deutschen stellen uns in dem kleinen Ort brav in der Schlange an und warten, bis es weiter geht. Die Chinesen allerdings machen eine zweite, eine dritte, eine vierte und zu allem Überfluss noch ein fünfte Spur in dem kleinen Ort auf. Wie sich das für Chinesen gehört: Natürlich alle in dieselbe Richtung und wir mitten drin. Nichts geht mehr. 10 Minuten, 30 Minuten, 1 Stunde, 90 Minuten. Wenn das so weitergeht, können wir Weihnachten 2011 in Lhasa feiern...

Es bildet sich ein kleiner Erkundungstrupp, der sich zu Fuß auf dem Weg macht, um die Lage zu erkunden. Um ganz ehrlich zu sein, waren wir Männer zu faul und haben Hanka erst mal alleine losgeschickt. Ihr Erkundungsbericht war erschütternd: Wenn eine Baustelle auf 20 Kilometer fünfspurig durch zwei Ampeln „geregelt“ wird und beide Ampeln für 30 Minuten auf ROT stehen, was passiert wenn diese beiden Ampeln nach 30 Minuten gleichzeitig auf Grün springen? Genau! Das reinste Chaos.

Es stellt sich heraus, dass ein Polizeiwagen (ohne Besatzung) den Weg versperrte, so dass der Verkehr nicht abfließen konnte. Nach über zwei Stunden geht es endlich weiter, wenn auch sehr zögerlich.

Auch die „Einreise“ nach Tibet macht uns zu schaffen. Nicht nur eine, sondern gleich zwei große Kontrollen mit Wartezeiten von bis zu eineinhalb Stunden schlagen unsere Vorstellung, noch vor 22 Uhr in Makham anzukommen, gänzlich nieder. Dann endlich: Autonome Provinz TIBET, wir haben es geschafft!!! Übermüdet kommen wir um drei Uhr nachts in Makham an und beschließen, am nächsten Tag auszuschlafen.

Sonntag 12. April 2009: Makham – Rawu


Mit frischem Diesel in den Tanks geht es an nächstem Morgen in Richtung Westen. Nach zwei Reifenschäden - mit total zerstörten Karkassen, dem tragenden Gerüst eines Reifens - und einer Lufttemperatur von 25 Grad sowie Sonnenschein, geht es nun stetig bergauf. Kurz vor dem Höhepunkt des Tages, die Querung eines 5.040 Meter hohen Passes, geraten wir auf 4.800 Meter noch in einen Schneesturm. Am Pass angekommen wollten wir erst einmal raus aus den Autos, um die herrliche Landschaft zu genießen. Ganz langsam, um den Kreislauf an die Höhe zu gewöhnen, steigen wir aus. Die Luft ist dünn, aber der Ausblick einfach wundervoll.

Montag 13. April 2009: Rawu - Nyingchi

Was das Wetter betrifft, haben wir am heutigen Tag eine echte Glückssträhne. Ein herrlicher Sonnenaufgang inmitten der 6.000 Bergketten kündigt es schon an. Nach einem kurzen Frühstück fahren wir durch tibetische Landschaften weiter in Richtung Westen. Die Straßen werden zunehmend besser und die regelmäßigen Polizeikontrollen blieben an diesem Tag aus.

Etwa fünf Fahrstunden von Lhasa entfernt, beziehen wird nochmals Unterkunft in der tibetanischen Provinz. Wir spürten jedoch alle die innerliche Unruhe, denn Morgen geht es nach Lhasa, zum Dach der Welt.

Dienstag 14. April 2009: Nyingchi – Lhasa

Man konnte es allen Gesichtern ansehen: Auf der einen Seite geht nun langsam unsere Reise zu Ende, auf der anderen sind wir unserem Ziel, einen Kindheitstraum zu erfüllen nah. Mit gemischten Gefühlen rollt unser Konvoi nun auf direktem Wege auf Lhasa zu. Wir passieren noch einen 5.000er und schon sind wir da. Wir haben es geschafft! Da wir am anderen Tag schon abreisen müssen, fahren wir nun auf dem direkten Weg zum Schokhang-Tempel, in der Stadtmitte von Lhasa.
Es ist der heiligste Tempel in ganz Tibet. Im Gegensatz zum Potala-Palast, der nur noch ein Museum ist, wird der Schokhang-Tempel von Gläubigen noch genutzt. Hier trifft man Menschen, die kniend zum Tempel pilgern. Das Innere des Tempels ist sehr dunkel, jedoch gewöhnen sich die Augen recht schnell daran. Der Geruch der Butter-Lampen verbreitet eine Atmosphäre der Ruhe und der Weltabgewandtheit.

Mittwoch 15. April 2009: Lhasa – Deutschland

Unser Flugzeug hebt erst am Nachmittag von Lhasa Airport ab, also geht es zum Potala-Palast. Wir sind alle einer Meinung: Das „innere“ des Potala-Palasts ist mit Abstand das Beeindruckendste, was man in einem Menschenleben besichtigen kann. Gold in unvorstellbaren Mengen und unzählige Buddha-Statuen schaffen eine ganz besondere Atmosphäre.

Wir verabschieden uns aus Tibet – mit ein wenig Melancholie, da wir um die politischen Umstände in Tibet wissen.